Verdeckte Videoüberwachung im Arbeitsverhältnis zulässig?

Bundesarbeitsgericht vom 21.06.2012

von Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Mit Urteil vom 21.06.2012 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass für eine Verkäuferin, die Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand des Arbeitgebers entwendet, auch nach längerer Beschäftigungsdauer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein kann.

Der Fall – was war passiert ?

Die Beklagte betreibt ein bundesweit tätiges Einzelhandelsunternehmen. Die 1958 geborene Klägerin war seit September 1990 als Verkäuferin, zuletzt als stellvertretende Filialleiterin, beschäftigt. Mit Zustimmung des Betriebsrates ließ die Beklagte in der Zeit vom 01.12 bis 22.12.2008 Videokameras in den Verkaufsräumen der Filiale installieren. Am 12.01.2009 wertete die Arbeitgeberin das ihr übergebene Filmmaterial im Beisein eines Betriebsratsmitglieds aus. Nach Anhörung des Betriebsrats hat die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 23.01.2009 fristlos, hilfsweise fristgerecht gekündigt. Die Klägerin hat rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat bestritten, Zigaretten entwendet zu haben. Sie habe lediglich ihre Aufgaben erledigt, zu denen es gehöre, Zigarettenregale ein- und auszuräumen und gegebenenfalls zu ordnen. Überdies verstoße die heimliche Videoaufnahme gegen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Daraus folge ein Verwertungsverbot.

Die Kündigungsschutzklage wurde vom Arbeitsgericht abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht vor dem 31.07.2009 beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin jedoch zurückgewiesen.

Die von der Klägerin erhobene Revision beim Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg und führte zur Zurückweisung an das Landesarbeitsgericht.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden ?

Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 21.06.2012 (Az: 2 AZR 153/11) entschieden, dass die Revision der Klägerin begründet ist. Dabei konnte das Bundesarbeitsgericht selbst nicht abschließend entscheiden, ob die ausgesprochene ordentliche Kündigung wirksam war. Dies deshalb, weil das Landesarbeitsgericht Köln nicht genügend Tatsachenfeststellungen getroffen hatte. Es steht nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts noch nicht fest, ob hinsichtlich der in Augenschein genommenen Videoaufzeichnungen ein Beweiswertungsverbot wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin aus Art. 2 Abs. 1 i. v. m. Art. 1 Abs. 1 GG bestand.

Zunächst führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine Kündigung sozial gerechtfertigt ist, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe “bedingt”, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhafte störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar- ausgeschlossen ist.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts habe die Klägerin am 06.12. und am 17.12.2008 jeweils zumindest eine Zigarettenpackung aus dem Warenbestand entwendet. Damit habe die Klägerin wiederholt vorsätzlich gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, keine gegen das Vermögen ihrer Arbeitgeberin gerichtete rechtswidrige Handlung zu begehen. Das Landesarbeitsgericht habe daher zu Recht angenommen, dass das Verhalten der Klägerin einen Kündigungsgrund darstellen kann.

Aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts konnte der Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht abschließend entscheiden, ob der Verwertung der Videoaufzeichnungen zum Beweis des Verhaltens der Klägerin ein prozessuales Verbot wegen einer Verletzung von deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG entgegenstand. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb unter Beachtung der aufgestellten Rechtsgrundsätze des Bundesarbeitsgerichts zu prüfen haben, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin vereinbar sind. Bei der Abwägung zwischen dem Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat das Interesse an der Verwertung der einschlägigen Daten und Erkenntnissen nur dann ein höheres Gewicht, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzukommen, die ergeben, dass das Verwertungsinteresse trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung überwiegt. Allein das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht nicht aus. Das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete, allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers – auch in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild – wird nicht schrankenlos gewährleistet. Eingriffe können durch Wahrnehmung überwiegend schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den Interessen des Arbeitgebers ist durch eine Güteabwägung im Einzelfall zu ermitteln, ob dieses den Vorrang verdient.

Das Bundesarbeitsgericht führt sodann aus, dass die heimliche Videoüberwachung eines Arbeitnehmers zulässig ist, wenn

  1. der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht,
  2. weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit praktisch das einzig verbleibende Mittel darstellt,
  3. und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist.

Der Verdacht muss im Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlungen zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern bestehen. Er darf sich nicht auf die allgemeinen Mutmaßungen beschränken, es könnten Straftaten begangen werden, er muss sich jedoch nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten. Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein.

Das Bundesarbeitsgericht kommt sodann zu der Feststellung, dass nach den zuvor genannten Grundsätzen die verdeckte Videoüberwachung gegenüber der Klägerin und die Verwertung der zu Beweis für ihr Verhalten angebotenen Videoaufnahme vom 06.12 und 17.12.2008 einen Eingriff in das Recht der Klägerin am eigenen Bild als Ausprägung ihres grundrechtlich gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht darstellt. Ob der Eingriff gerechtfertigt war, steht dagegen noch nicht fest. Dies deshalb, weil das Landesarbeitsgericht bisher noch keine Feststellung getroffen hat, aufgrund derer die Annahme berechtigt wäre, es habe der hinreichend konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten der Arbeitgeberin bestanden. Der Arbeitgeber hatte lediglich vorgetragen, dass Inventurdifferenzen vorgelegen haben. Soweit das Landesarbeitsgericht ausgeführt habe, es habe der Verdacht bestanden, “dass Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf die festgestellten Inventurdifferenzen” gehabt hätten, ist nicht festgestellt, auf welchen Tatsachen sich dieser Verdacht gründet und welcher zumindest eingrenzbarer Kreis der Mitarbeiter hiervon betroffen waren. Die Klägerin hatte die von der Beklagten behaupteten Inventurdifferenzen bestritten. Das Landesarbeitsgericht hatte hierzu keine eigenen Feststellungen getroffen. Ob zudem auf Tatsachen gegründete Verdachtsmomente oder Kenntnisse vorlagen, die die Einschätzung rechtfertigen, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung als die verdeckte Videoüberwachung seien nicht (mehr) in Betracht gekommen, lässt sich aufgrund der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht beurteilen.

Sodann führt das Bundesarbeitsgericht aus, dass ein Beweisverwertungsverbot für die Videoaufzeichnungen nicht schon deshalb vorliegt, weil es sich um öffentlich zugängliche Räume im Sinne von § 6b Abs. 1 BDSG gehandelt hat. Falls die verdeckte Videoüberwachung das einzige Mittel zur Überführung von Arbeitnehmern ist, die der Begehung von Straftaten konkret verdächtig sind, kann eine heimliche Videoaufzeichnung auch in öffentlich zugänglichen Räumen zulässig sein.

Auswirkung auf die Praxis der Arbeitnehmer und Betriebsräte

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt dar, dass eine verdeckte Videoüberwachung gegenüber Arbeitnehmern nur unter sehr hohen Anforderungen zulässig ist. Es muss der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder anderen schweren Verfehlungen zu Lasten des Arbeitgebers bestehen. Die Videoüberwachung ist die letzte dem Arbeitgeber verbleibende Möglichkeit zur Aufklärung des Verdachts, weil ihm keine weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Schließlich darf die Videoüberwachung unter Berücksichtigung der konkreten Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig sein. Der Arbeitgeber darf nicht alle Arbeitnehmer pauschal unter Verdacht stellen und damit einer Videoüberwachung unterziehen, sondern es muss sich um einen räumlich und funktionalen abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern handeln, denen konkrete Verdachtsmomente einer strafbaren Handlung zugeordnet werden können. Hierbei ist für Betriebsräte zu beachten, dass der Arbeitgeber eine Videoüberwachung nur nach Zustimmung mit dem Betriebsrat durchführen kann (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Vollzieht der Arbeitgeber eine rechtswidrige Videoüberwachung gegenüber Arbeitnehmern, so stellt sich dies als eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar und kann für die betroffenen Arbeitnehmer zu einem Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes führen (vgl. hierzu Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts Frankfurt/Main vom 25.10.2010, Az.: 7 Sa 1586/09).

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