Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern rechtens

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2009, 4 AZR 64/08

Eine wesentliche Aufgabe der Gewerkschaft besteht darin, zugunsten ihrer Mitglieder Tarifverträge mit den Arbeitgebern zu vereinbaren. Tarifverträge gelten gemäß § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz (TVG) unmittelbar und zwingend für ein Arbeitsverhältnis, wenn beide Parteien des Arbeitsverhältnisses tarifgebunden sind.

Dies sind sie, wenn der Arbeitgeber Mitglied des tarifvertragsschließenden Arbeitgeberverbandes ist oder einen (Firmen-)Tarifvertrag selbst abgeschlossen hat und der Arbeitnehmer Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist (§ 3 Abs. 1 TVG). Liegen die Voraussetzungen der beiderseitigen Tarifbindung nicht vor, kann der Arbeitgeber – falls der Tarifvertrag nicht gemäß § 5 Abs. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt wurde – frei darüber entscheiden, ob er seinen Arbeitnehmern die in einem Tarifvertrag vorgesehenen Leistungen gewähren will oder nicht. Der Arbeitgeber kann damit grundsätzlich frei darüber entscheiden, ob er Nicht-Gewerkschafts-Mitgliedern die tariflichen Arbeitsbedingungen gewähren möchte. Nicht-Gewerkschafts-Mitglieder sind nämlich Arbeitnehmer, die der Gewerkschaft nicht angehören und dementsprechend aufgrund der gesetzlichen Vorgaben des Tarifvertragsgesetzes keinen Anspruch auf den Tariflohn haben.

Der Arbeitgeber kann daher frei darüber entscheiden, ob er sogenannten Außenseitern ebenfalls die tarifvertraglichen Leistungen zugesteht. Deshalb ist der Arbeitgeber auch nach Abschluss des Arbeitsvertrages berechtigt, die Arbeitnehmer nach der Gewerkschaftszugehörigkeit zu fragen, um so die Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern umzusetzen. In der Praxis haben die Arbeitgeber allerdings meistens kein erhebliches Interesse daran, bei der Gewährung von tariflichen Leistungen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenseitern zu differenzieren. Sie würden ansonsten den Arbeitnehmern einen Anreiz dazu bieten, in die tarifvertragsschließende Gewerkschaft einzutreten. Man stelle sich nur den durchaus üblichen Fall vor, dass der mit dem Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitsvertrag keinen Anspruch auf Zahlung eines vollen Weihnachtsgeldes als 13. Gehalt vorsieht, während der Tarifvertrag jedoch einen Anspruch auf volle Weihnachtsgeldzahlung für Gewerkschaftsmitglieder beinhaltet. Die Gewerkschaften haben wiederum ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder bei der Anwendung von Tarifverträgen besser gestellt werden als Nichtmitglieder. Dies ist aus Sicht der Gewerkschaften verständlich, da ihre Mitglieder durch den Mitgliedsbeitrag die Organisation finanzieren und es damit erst ermöglichen, Tarifverträge zugunsten der Arbeitnehmer abzuschließen. Von den abgeschlossenen Tarifverträgen profitieren dann meistens aufgrund der mangelnden Bereitschaft der Arbeitgeber zur Differenzierung bei der Tarifanwendung auch die sogenannte Außenseiter als „Trittbrettfahrer“, d. h. diese Arbeitnehmer machen sich ohne Mitgliedsbeiträge in einer Gewerkschaft zu zahlen die Früchte der organisatorischen und finanziellen Anstrengungen anderer Arbeitnehmer zunutze.

Verständlicherweise haben die Gewerkschaften daher schon immer versucht, durch spezielle tarifvertragliche Klauseln (sogenannte Differenzierungsklauseln) Arbeitgeber bei der Anwendung des Tarifvertrages zu zwingen, Gewerkschaftsmitglieder besser zu stellen als sogenannte Nichtorganisierte.

Nunmehr hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine sogenannte einfache Differenzierungsklausel, wonach in einem Tarifvertrag die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft zum Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs auf eine jährliche Sonderzahlung gemacht wird, zugunsten der Gewerkschaftsmitglieder zulässig ist.

Der Fall – was war passiert?

Ein Tarifvertrag zwischen AWO und ver.di sah vor: „Als Ersatzleistung wegen des Verzichtes auf die Sonderzahlung gemäß § 19 des Haustarifvertrages der AWO-Gruppe erhalten die ver.di-Mitglieder der AWO-Gruppe in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichzahlung in Höhe von 535,00 € brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit.“ „Als weitere Ersatzleistung erhalten die Beschäftigten der AWO-Gruppe jährlich eine ergebnisabhängige Sonderzahlung … wenn die finanzielle und wirtschaftliche Lage dies ermöglicht.“

Die Klägerin, die kein ver.di-Mitglied ist, erhielt die entsprechende Zahlung nicht. Dagegen klagte sie und unterlag letztendlich vor dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

Mit Urteil vom 18.03.2009 (Az: 4 AZR 64/08) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass eine einfache Differenzierungsklausel, durch die in einem Tarifvertrag die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft zum Tatbestandsmerkmal eines Anspruchs auf eine jährliche Sonderzahlung von 535,00 € gemacht wird, keinen grundsätzlichen tarifrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Der AWO-Tarifvertrag verstößt daher nicht gegen die negative Koalitionsfreiheit von Außenseitern. Zwar darf das Recht, die Mitgliedschaft in einer Koalition zu beenden, nicht übermäßig eingeschränkt werden, das heißt aber nicht, dass die Mitgliedschaft in einer Koalition folgenlos bleiben müsste oder dass von den rechtlichen Folgen der koalitionsmäßigen Organisierung nicht auch ein gewisser Anreiz ausgehen kann, selbst Mitglied in der Koalition zu werden. Die Tarifklausel begründet ausschließlich Rechte und Pflichten von Mitgliedern der Tarifvertragsparteien und schränkt die Handlungs- und insbesondere Vertragsfreiheit der tarifgebundenen Arbeitgeber nicht ein. Die Tarifvertragsparteien können zwar keine Abschluss-, Inhalts- und Beendigungsnorm vereinbaren, die unmittelbar für Nicht- tarifgebundene normativ gelten. Eine solche lag aber hier nicht vor. Kein Außenseiter hat ohne eine gesonderte Rechtsgrundlage, die ihm die Anwendung von Tarifnormen auf sein Arbeitsverhältnis verschafft, einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit einem Tarifgebundenen. Mehr schreibt aber eine einfache Differenzierungsklausel nicht vor.

Es darf der einzelnen Koalition nicht versagt bleiben, sich von einer konkurrierenden Gewerkschaft durch einen Verhandlungserfolg abzugrenzen, der durch eine einfache tarifliche Differenzierungsklausel normativ nur den Mitgliedern zugute kommt.

Hinzu kommt die große Bedeutung der ökonomischen Krisenbewältigung für die gesamte Wirtschaft und einzelne Unternehmen durch die Kooperation von Gewerkschaften mit der Arbeitgeberseite, insbesondere beim Abschluss von Sanierungstarifverträgen. Mit solchen Tarifverträgen werden unter Einbeziehung und mit Einverständnis der Gewerkschaft bestehende tarifliche Ansprüche auf Zeit abgesenkt und der Arbeitgeber damit entlastet. Bereits deshalb ist von der grundsätzlichen Zumutbarkeit einer Einzelregelung auszugehen, die für die Mitglieder derjenigen Gewerkschaft, die eine solche Absenkung zur Bewältigung ökonomischer Schwierigkeiten des Arbeitgebers kooperativ mitwirkt, Sonderregelungen wie im vorliegenden Fall vorsieht. Der nach dem Tarifvertrag den Gewerkschaftsmitgliedern vorbehaltene Anspruch auf die Ausgleichszahlung ist weder in seiner Art noch der absoluten Höhe nach geeignet, einen unverhältnismäßigen Druck auszuüben, von der Entscheidung, keiner Gewerkschaft angehören zu wollen, Abstand zu nehmen. Es handelt sich um eine einmal jährlich zu zahlende und damit außerhalb des laufenden Austauschverhältnisses liegende Leistung, die im Durchschnitt etwa ein Viertel einer Monatsvergütung und nach den Feststellungen des Landesarbeitsgericht nicht mehr als zwei Jahresmitgliedsbeiträge ausmacht. Ein verständiger Arbeitnehmer wird allein im Hinblick darauf keinen mit Zwang vergleichbaren Druck verspüren, um von seiner Entscheidung gegen eine Gewerkschaftszugehörigkeit Abstand zu nehmen.

Auswirkungen auf die Praxis für Arbeitnehmer und Betriebsräte

Der Senat des Bundesarbeitsgerichtes hat vorliegend entschieden, dass eine einfache Differenzierungsklausel, die eine bestimmte Leistung für Gewerkschaftsmitglieder als Ausgleich für den Verzicht auf tarifliche Rechte in einem Sanierungstarifvertrag vorsieht, rechtlich unbedenklich ist. Ob eine qualifizierte Differenzierungsklausel, die darauf gerichtet ist, Außenseitern die Vorteile von Gewerkschaftsmitgliedern vorzuenthalten, zulässig sind, war nicht Gegenstand der vorliegenden Entscheidung. Nach der derzeit herrschenden Meinung sind solche Klauseln allerdings mangels Tarifmacht nicht wirksam zu vereinbaren. Fraglich bleibt nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, ob einfache Differenzierungsklauseln auch dann zulässig sind, wenn sie keinen Ausgleich für Verzicht eines Sanierungstarifvertrages enthalten. Da einfache Differenzierungsklauseln weder den nicht organisierten Arbeitnehmer, noch den Arbeitgebern Vorschriften auferlegen, erscheinen sie als grundsätzlich zulässig zu erachten. Der rechtliche Handlungsspielraum der Arbeitsvertragsparteien wird in keiner Weise eingeschränkt. Eine Verletzung von Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz, d. h. der negativen Koalitionsfreiheit des Außenseiters oder der positiven Koalitionsfreiheit des Arbeitgebers ist daher nicht gegeben.

Rechtsanwalt Markus Bär, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Arbeitsrecht für Arbeitnehmer und Betriebsräte

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